Die Geschichte der Orchideen­aussaat

Die Beliebtheit der Orchideen begann im frühen 19. Jahrhundert, als die ersten Pflanzen blühten, die von Reisenden unter großen Strapazen aus fernen Ländern mitgebracht wurden. Die exotischen und spektakulären Blüten führten dazu, dass die Nachfrage rapide anstieg und sich eine wahre Importindustrie entwickelte. Abenteurer reisten in weit entfernte Länder um neue und seltene Orchideen zu finden und nach Europa zu bringen. Artenschutzbestimmungen gab es zu dieser Zeit noch keine und so wurden ganze Habitate des Geldes wegen geplündert. Die wenigen Pflanzen, die die lange und belastende Reise überstanden und sich in den Glashäusern einlebten, wurden von den damaligen Gärtnern durch Teilung vermehrt. Die verfügbare Menge an Jungpflanzen, die durch Teilung herangezogen wurden, war nicht annähernd genug, um die Sammellust der Leute zu befriedigen und so ging der Raub der Pflanzen aus der Natur weiter.

Da es in der Natur jedes Gärtners liegt, seine Schützlinge vermehren zu wollen, fanden schon damals Versuche statt, die Orchideen über Samen zu vermehren - leider nur mit sehr geringem Erfolg. Abgesehen von ein paar zufälligen Erfolgen, die kaum reproduzierbar waren, gab es keine nennenswerten Fortschritte bei der Aussaat. Im Jahr 1832 erwähnte John Lindley, dass es in Chiswick (London) gelungen sei, Jungpflanzen von Prescottia plantaginea heranzuziehen. Leider gibt es keine Details zur Vorgehensweise und die Sämlinge endeten als Alkoholpräparate. Etwas später, im Jahr 1849, berichtete David Moore (vgl. Nelson 2002), dass es im botanischen Garten von Glasnevin (Dublin) gelungen sei, Jungpflanzen von Thunia bracteata und Epidendrum crassifolium od. ellipticum aus Samen zu ziehen und diese zum Blühen zu bringen. Die reifen trockenen Samen verteilte Hr. Moore im Bereich der Elternpflanzen auf Ästen und der Substratoberfläche der Töpfe. Da es sich beim Ausgangsmaterial um importierte Pflanzen handelte, ist anzunehmen, dass ein brauchbarer Symbiosepilz mit den Pflanzen nach Europa kam und bei der Keimung half.

Richtig Schwung kam in die Sache zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der französische Botaniker Noël Bernard (1874 - 1911) erkannte, dass Orchideensamen einen Symbiosepilz für die Keimung brauchen. Aufbauend auf diese Erkenntnis, entwickelte er die symbiotische in vitro Aussaat. Leider verstarb der französische Forscher viel zu früh und sein deutscher Kollege und Briefkontakt Hans Burgeff (1883 – 1976) musste alleine Bernards Erbe fortführen. Bereits 1911 veröffentlichte er das Buch „Die Anzucht tropischer Orchideen aus Samen“ (vgl. Burgeff 1911) auf dessen Inhalt ich genauer eingehen möchte.

Einleitend erklärt er sehr verständlich und mit vielen Abbildungen die Pilzsymbiose der Orchideen. Ganz besonders beeindruckt haben mich die detaillierten Zeichnungen und Fotos, von denen eines auf Abbildung 1 zu sehen ist.

Längs- und Querschnitt durch mit Symbiosepilz besiedelter Wurzel eines Oncidiums (Quelle: Burgeff 1911)
Abbildung 1: Längs- und Querschnitt durch mit Symbiosepilz besiedelter Wurzel eines Oncidiums (Quelle: Burgeff 1911)

Aus einer vom Symbiosepilz besiedelten Wurzel entnahm Burgeff vom Pilz besiedelte Gewebestücke aus dem Inneren der Wurzel. Das Gewebe an der Wurzeloberfläche wäre zwar leichter zu entnehmen gewesen, aber an der Oberfläche befinden sich auch andere Kontaminationen (Bakterien und den Orchideen nicht gut gestimmte Pilze), die man nicht isolieren möchte. Die entnommenen Gewebe wurden in einen nährstoffarmen Nährboden gesteckt, um darin zu wachsen. Nahrhafte Nährböden sind hierfür fehl am Platz, weil darin alle vorhandenen Pilze sehr rasch untrennbar ineinander wachsen und dadurch ein Isolieren der Einzelpilzen unmöglich wird. Durch regelmäßiges Übertragen der Pilze auf frische Nährböden wurden die einzelnen Pilze voneinander getrennt und vermehrt. Die Samen aus noch geschlossenen, möglichst reifen Orchideensamenkapseln wurden auf Nährböden ausgebracht, die von den isolierten Pilzen besiedelt waren. Jene Pilze, die den Samen zur Keimung verhalfen, wurden weiter kultiviert und für die Aussaat der restlichen Samen verwendet. In Abbildung 2 sind Sämlinge zu sehen, die nach der beschriebenen Methode in Eprouvetten (in vitro) von Hans Burgeff gezogen wurden.

Symbiotisch in vitro gezogene Orchideensämlinge (Quelle: Burgeff 1911)
Abbildung 2: Symbiotisch in vitro gezogene Orchideensämlinge (Quelle: Burgeff 1911)

Neben der eben geschilderten in vitro Aussaatmethode beschreibt Burgeff auch die Aussaat auf pilzinfizierten Substraten wie Sphagnum gemischt mit Polypodium oder Osmunda. Zu Beginn muss das Substrat von möglichst vielen Kontaminationen (Pilze und Bakterien) und Schädlingen befreit werden – vollständig keimfrei muss es aber nicht sein. Dies wurde erreicht, indem es in Töpfe gegeben wurde und für etwa 1,5 Stunden in einem Dampftopf kam. Nach dem Abkühlen wurden von isolierten und auf Kompatibilität getesteten Pilzen, Stücke in die Töpfe übertragen. Die so beimpften Töpfe kamen in eine wie in Abbildung 3 gezeigte Glasglocke und wurden bei mäßig warmen Bedingungen (Warmhaustemperatur) aufgestellt. Entwichenes Wasser wurde über den Glockenhals zurück in das Substrat gebracht. Verwendet wurde hierfür abgekochtes Regenwasser.

Glasglocke für die Aussaat auf pilzinfiziertem Substrat (Quelle: Burgeff 1911)
Abbildung 3: Glasglocke für die Aussaat auf pilzinfiziertem Substrat (Quelle: Burgeff 1911)

Abhängig von der Art des verwendeten Symbiosepilzes, dauerte es 3 – 9 Wochen, bis das Substrat vollständig vom Pilz besiedelt war. Danach wurden die Orchideensamen auf der Substratoberfläche verteilt und die Töpfe zurück in die Glasglocken gestellt. Die Pflege beschränkte sich weiterhin auf das Ersetzen des entwichenen Wassers. In Abbildung 4 ist ein solcher Aussaattopf mit 9 Monate alten Sämlingen von Vanda suavis x Vanda teres zu sehen.

Ausssaattopf mit 9 Monate alten Sämlingen von Vanda suavis x Vanda teres (Quelle: Burgeff 1911)
Abbildung 4: Ausssaattopf mit 9 Monate alten Sämlingen von Vanda suavis x Vanda teres (Quelle: Burgeff 1911)

Neben dem 1911 erschienen Buch hat Hans Burgeff 1935 ein weiteres noch detailliertes Buch „Samenkeimung der Orchideen und Entwicklung ihrer Keimpflanzen“ (vgl. Burgeff 1935) geschrieben. Darin geht er sehr genau auf die Rolle der Pilzsymbiose bei Orchideen ein und beschreibt auch die Methode der pilzfreien (asymbiotischen) Aussaat, die 1922 von Lewis Knudson entdeckt wurde. Bei der asymbiotischen Aussaat wird der Pilz weggelassen und alle Stoffe, die der Pilz der Orchidee liefert, werden dem Nährboden zugesetzt. Da diese Nährböden viel nahrhafter sind als jene, die für die Kultur der Symbiosepilze verwendet werden, ist bei der pilzfreien Aussaat äußerste Reinheit geboten. Eine einfache Behandlung mit Dampf reicht hier nicht mehr aus – es muss absolut keimfrei gearbeitet werden. Die Nährböden werden unter dem Einfluss von Hitze und Druck im Druckkochtopf oder Autoklaven sterilisiert. Damit keine Kontaminationen in die sterilisierten Gläser kommen, müssen alle Arbeitsschritte unter keimfreien Bedingungen erfolgen. Die einfachst Art, um diese Bedingungen zu garantieren, ist das Arbeiten im Dampfstrom über einem möglichst großen Topf mit darin kochendem Wasser. Angenehmer Arbeiten lässt es sich in einer modernen sterilen Werkbank, bei der ein Gebläse Luft durch einen sehr feinen Filter drückt. Da der Filter 99.99% aller Kontaminationen einfängt, kann man dahinter keimfrei arbeiten.

Parallel zu Burgeffs beeindruckender Arbeit konnte man auch im Hofgarten Schönbrunn (Wien) große Erfolge bei der Aussaat von Orchideen verzeichnen, wie man auf Abbildung 5 sehen kann.

Blick in das Sämlingshaus von Schönbrunn im Jahre 1901 (Quelle: Hefka 1914)
Abbildung 5: Blick in das Sämlingshaus von Schönbrunn im Jahre 1901 (Quelle: Hefka 1914)

Anton Hefka, der damalige Obergärtner, beschreibt in seinem 1914 erschienen Buch „Cattleyen und Laelien – Samenzucht und Pflege“ (vgl. Hefka 1914) seine Aussaatmethode. Er vewendete 12 – 14cm große Gartentöpf, bei denen das Abzugsloch erweitert wurde um einen raschen Zu- und Abfluß des Wassers zu ermöglichen. Die Hälfte jedes Topfs wurde mit Tonscheren gefüllt. Die Scherben wurden mit einer Schicht aus ungezieferfreiem Sumpfmoos abgedeckt. Aus reinem, durchgesiebtem Sägemehl von gesundem Fichten- oder Föhrenholz stellte man durch das Hinzugießen von Wasser einen Brei her, der zwei Finger dick in die Töpfe gefüllt und leicht angedrückt wurde. Auf die Oberfläche des Sägemehlbreis brachte man im Anschluss die Orchideensamen auf. Die Töpfe wurden im Glashaus unter temperierten Bedingungen aufgestellt und regelmäßig gegossen. Der Autor rät vom Abdecken der Töpfe mit Glas ab, weil die dadurch entstehenden Bedingungen nicht denen in der Heimat entspricht. Nachdem Anton Hefka in seinem Buch nicht erwähnt, woher der für die Keimung nötige Pilz kam, ist anzunehmen, dass in den Glashäusern ausreichend importierte Pflanzen mit deren Pilzen vorhanden waren.

Die heute im Handel erhältlichen Orchideen werden größtenteils ohne Symbiosepilz (aymbiotisch) vermehrt. Diese Tatsache, in Kombination mit dem Einsatz von Fungiziden in den Glashäusern, führt dazu, dass der für die Keimung der Orchideensamen benötige Pilz in den meisten Kulturen fehlt und damit Samen auch nicht mehr von selbst keimen können. Dieser Umstand macht es uns heute recht schwer die historischen Aussaatmethoden anzuwenden. Interessant wäre, ob es Orchideenfreunde gibt, die die symbiotische Methode auf pilzbesiedeltem Substrat bei tropischen Orchideen auch heute noch anwenden und wie sie dabei vorgehen. Über Rückmeldung würde wir uns freuen.

Referenzen

Burgeff 1911 "Die Anzucht tropischer Orchideen aus Samen"
Dr. Hans Burgeff, 1911
Burgeff 1935 "Samenkeimung der Orchideen und Entwicklung ihrer Keimpflanzen"
Dr. Hans Burgeff, 1935
Hefka 1914 "Cattleyen und Laelien – Samenzucht und Pflege"
Anton Hefka, 1914
Nelson 2002 "Orchids of Glasnevin"
Nelson & Sayers, 2002

Autor: Thomas Ederer